
Es ist eine Aussage, die sich hartnäckig in der Hundeszene hält: „Der Mensch muss der Rudelführer sein!“ Aber ist das wirklich so? Sind Hunde wirklich Rudeltiere, oder ist diese Ansicht nicht schon längst überholt? Machen wir mal den Faktencheck.
Per wissenschaftlicher Definition ist ein Rudel eine „individualisierte, in sich geschlossene soziale Gruppierung von Säugetieren, deren Mitglieder im Gegensatz zu einer Herde nicht austauschbar und (meistens) miteinander verwandt sind.“ (Quelle: dwds.de/wb/Rudel)
Um also der „Rudelführer“ zu sein, müssten wir mit unserem Hund ein Rudel bilden. Was aber rein faktisch gesehen gar nicht geht, weil wir nunmal definitiv nicht mit unserem Hund verwandt sind.
Bei dieser ganzen „Rudel-Denkweise“ wird auch gerne noch der Vergleich zum Wolf herangezogen. Dieser lebe ja schließlich in einem Rudel, der vom „Alpha-Wolf“ angeführt wird. Und diese Rolle des „Alpha-Wolfes“ soll nach Ansicht mancher Hundetrainer*innen heutzutage eben der Mensch übernehmen. Aber an diesen Aussagen ist so einiges falsch. Im Folgenden möchte ich näher erläutern, warum.
Die Theorie wurde erstmals in der frühen Wolfsforschung entwickelt. Damals beobachtete man Wölfe in Gefangenschaft, die unter enorm unnatürlichen Bedingungen gelebt haben: Sie litten unter Stress, ihr Territorium war viel zu klein und die Gruppen waren wild zusammengewürfelt – ohne jegliche Struktur.
Aufgrund all dieser Gegebenheiten kam es unweigerlich zu Machtkämpfen und die Mär vom „Alpha-Wolf“ war geboren.
Wölfe leben in Familienverbänden
Heutzutage weiß man, dass die damaligen Beobachtungen und die dadurch gezogenen Rückschlüsse faktisch falsch waren. Denn schaut man sich wildlebende Wölfe an, fällt eines sofort auf: Das „Rudel“ besteht immer aus den Eltern-Tieren und deren Nachwuchs. Folglich handelt es sich eher um Familienverbände. Diese werden von den Eltern-Tieren angeführt. Es gibt also keinen „Alpha-Wolf“, sondern vielmehr „Leittiere“, die diese Position auch nicht aufgrund von „Dominanz“ und/oder Aggressivität inne haben, sondern schlichtweg aufgrund ihrer Erfahrung.
Sobald der männliche Nachwuchs ein gewisses Alter erreicht hat, wandert er ab um seine eigene Familie zu gründen. Auch dies war bei den in Gefangenschaft lebenden Wölfen nicht möglich. Ein weiterer Faktor, der für Stress und unnötige Konflikte gesorgt hat.
Souveränität > Machogehabe
Wie oben bereits erwähnt, wird ein Wolfsrudel von einem Elternpaar angeführt. Dieses ist meist auch sehr geduldig mit seinem Nachwuchs, da die Energie in freier Wildbahn lieber für die Jagd als für Konflikte genutzt wird. Außerdem führen unnötige Machtkämpfe nur zu Verletzungen, die am Ende das gesamte Rudel schwächen und somit das Überleben aller gefährden.
Daraus lässt sich auch gut ableiten, dass ein wahrer „Rudelführer“ vor allem souverän ist und nicht bei jeder Gelegenheit den Chef raushängen lässt. Den Leittieren ist es egal, wer voran läuft oder wer als erstes frisst. Es gibt nur ein Privileg, dass ihnen wirklich wichtig ist: Das Recht auf Fortpflanzung.
Hunde wissen, dass wir keine Hunde sind
Überträgt man nun all dies auf manche (veraltete) „Erziehungs-/Trainingsmethoden“ beim Hund, wird einem schnell klar, dass das nicht funktionieren kann. Denn wie schon gesagt: Wir sind weder mit unserem Hund verwandt, noch gehen wir gemeinsam mit ihm auf die Jagd und schon gar nicht wollen wir uns mit ihm fortpflanzen.
Hinzu kommt, dass Hunde hochsoziale Wesen sind und sie daher genau wissen, dass wir keine Artgenossen sind. Wie seltsam muss es ihnen dann vorkommen, wenn wir auf einmal versuchen uns wie solche zu verhalten?
Hunde sind keine Wölfe
Bei all den Vergleichen mit Wölfen darf auch eine wichtige Sache nicht vergessen werden: Hunde wurden über Jahrzehnte von uns Domestiziert. Ja, sie haben noch ähnliches Erbgut wie Wölfe, aber sie SIND keine Wölfe mehr. Daher ist es in meinen Augen auch falsch, sie weiterhin darauf zu „reduzieren“. Hunde haben sich schon längst an unser Leben angepasst, was auch zur Folge hat, dass sie auf das gemeinschaftliche Leben mit Artgenossen gar nicht mehr angewiesen sind.
Denn seitdem Hunde angefangen haben in der Nähe menschlicher Siedlungen zu leben, ernähren sie sich primär von unseren Abfällen. Die Jagd im Rudel bzw. Familienverband ist daher nicht mehr notwendig – genau so wie die Unterstützung ihrer Artgenossen.
Da es aber in manchen Situationen hilfreich sein kann, wenn man nicht gänzlich auf sich alleine gestellt ist, leben Straßenhunde oftmals in losen Gruppen/Verbänden. Sie hätten aber auch kein Problem damit, komplett alleine zurecht zu kommen.
Wir bilden mit unseren Hunden kein Rudel
Was bedeutet das nun für unser Leben mit Hund? Berücksichtigt man alle oben angeführten wissenschaftlichen Fakten, können wir mit unseren Hunden gar kein Rudel bilden. Folglich gibt es auch keinen „Rudelführer“ und schon gar keinen „Alpha-Wolf“.
Vielmehr leben wir mit unseren Hunden schlichtweg in einer Beziehung, in einem sozialen Gefüge. Da unsere Hunde aber mehr oder weniger „neu“ in unserer menschlichen Welt sind, bzw. wir möchten, dass sie sich dieser anpassen, benötigen sie unsere Hilfe um sich darin zurechtfinden zu können. Zu einem gewissen Teil sind wir also doch so etwas wie erfahrene „Leittiere“, weil wir Menschen nunmal am besten wissen, wie unsere Welt funktioniert.
Einfach ausgedrückt: Wir sollten für unsere Hunde souveräne Sozialpartner sein.
Als Neuling in Sachen Hundehaltung nehme ich mir gerne einige Wertvolle Tipps mit. Danke dafür.
Lg Alisa
Liebe Alisa, vielen Dank für Dein Feedback 🙂