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Kastration beim Rüden: Immer sinnvoll oder nicht?

credits: Stephanie Becker

Für viele ist die Kastration beim Rüden ganz normal. Doch es handelt
sich um einen hormonellen Eingriff, der nicht unterschätzt werden
sollte. Wann ist sie also sinnvoll und wann sollten eher andere Methoden genutzt werden, um Probleme in den Griff zu bekommen?

Eigentlich hätte ich bei Filou damals gar keine Wahl mehr gehabt, denn laut Übernahmevertrag sollte der Kleine bereits kastriert sein. Doch wie in diesem Beitrag bereits beschrieben, ist er damals wohl irgendwie durchgerutscht und kam unkastriert zu mir nach Hause. Zu seinem und auch meinem Glück. Denn er wäre mit drei Monaten noch viel zu jung gewesen. Normalerweise sollte man einen Hund, egal ob Rüde oder Weibchen, erst mit frühestem einem Jahr kastrieren. Und es spielen noch viele weitere Faktoren eine Rolle.
Für Hunde aus dem Auslands-Tierschutz gelten beispielsweise gesonderte Regeln. Laut Vertrag mit der Tierschutzorganisation müsste ich, wenn ich einen noch unkastrierten Hund adoptiert hätte, diesen spätestens nach einem Jahr kastrieren lassen. Das hat zum einen damit zu tun, dass man vermeiden möchte, dass Rüden aus dem Ausland (die ja bei manchen leider nicht so hoch angesehen sind) ungewollt andere (Rasse-)Hunde decken und zum anderen wäre es natürlich paradox, wenn sich Tierschutz-Organisationen im Ausland für Kastrations-Programme stark machen, aber ihre eigenen Hunde, die sie nach Deutschland vermitteln, nicht kastrieren.
Filou und ich bewegen uns also momentan in einer Grauzone. Laut Vertrag ist er ja kastriert, was aber eben nicht den Tatsachen entspricht. Daher hätte ich mich eigentlich bereits vor gut einem Jahr darum kümmern müssen, dies nachzuholen. Doch es gibt gute Gründe, warum ich dies noch nicht gemacht habe. Diese werde ich im Folgenden erläutern und dabei auch mit einigen Mythen rund um die Kastration beim Rüden aufräumen.

Mythos 1: Ein kastrierter Rüde wird verträglicher

Filou mag andere Hunde nicht sonderlich, das ist kein Geheimnis. Dabei unterscheidet er aber erstmal nicht, ob es sich um andere Rüden oder Weibchen handelt. Er ist einfach sehr skeptisch und rechnet bei Hundebegegnungen immer mit dem schlimmsten. Daher lautet seine Devise: Lieber stänkere ich zuerst, damit mir nichts passiert. Filou ist also nicht aus Aggression „unverträglich“, sondern weil er eigentlich Angst hat. Dieses Verhalten muss mit irgendeinem Ereignis in seiner Vergangenheit zu tun haben, was ich aber nicht genau weiß.
Fakt ist aber: Würde ich Filou nun kastrieren, würde dieser Eingriff auf jeden Fall sein „Mut“-Hormon senken. Also seine Bereitschaft zu stänkern, würde sinken – aber einfach, weil er zu viel Angst vor den Konsequenzen hätte. Ich würde dadurch also einen ohnehin schon skeptischen, teilweise ängstlichen Hund noch ängstlicher machen. Was zur Folge hätte, dass er komplett eingeschüchtert durch die Gegend laufen würde und ich noch mehr auf ihn aufpassen müsste, weil er sich selbst keinerlei „Verteidigung“ mehr zu trauen würde.

An dieser Stelle gibt es allerdings ein Aber: Sollte der Rüde tatsächlich nur gegen andere Rüden ein unangenehmes Verhalten an den Tag legen und bei Weibchen nicht, ist das unerwünschte Pöbeln tatsächlich hormonell bedingt und sexueller Natur. Dies kann man unter Umständen tatsächlich mit einer Kastration in den Griff bekommen, da dadurch ja der generelle Hormonhaushalt runtergefahren wird. Zuvor sollte man sich aber zu 100 Prozent sicher sein, dass das „Fehl“-Verhalten gegenüber anderen Rüden nicht doch einen anderen Hintergrund hat, ansonsten kann dieses durch die Kastration sogar noch verstärkt werden.

Mythos 2: Ein kastrierter Rüde reitet weniger auf

Filou wird im September 2020 drei Jahre alt. Eigentlich hatte ich schon vor einer Weile damit gerechnet, dass die „Rüpel“-Phase anfängt, von der mir viele Hundebesitzer erzählt hatten: Ihr Hunde habe Kissen bestiegen, ist auf Spielzeug aufgeritten und hat auch vor den Gliedmaßen seiner Besitzer nicht Halt gemacht. „Du musst Filou vorher unbedingt kastrieren lassen“, hieß es damals zu mir. „Sonst macht der das auch, das ist normal bei unkastrierten Rüden“.
In meinem Kopf hatte ich mir das Schlimmste ausgemalt. Und was ist passiert? Nichts.
Filou ist weiterhin ein ganzer Rüde, aber er hat nie irgendwelche Anstalten gemacht, Gegenstände oder gar andere Menschen oder mich zu besteigen.
Was hat es also auf sich mit diesem Mythos, dass unkastrierte auf alles aufreiten?
Betrachtet man dieses Verhalten einmal genauer, wird einem in den meisten Fällen klar, dass der Rüde dies keines Weges aus einem sexuellem Trieb heraus macht. Viel mehr befindet er sich oft in einer Situation, in der er sich unwohl oder gestresst fühlt. Er weiß dann nicht, was er machen soll, ist überfordert und macht einfach irgendwas, um beschäftigt zu sein. Solch eine sogenannte „Übersprungshandlung“ endet dann im Aufreiten von Gegenständen.
Wenn man diesen Rüden dann kastriert, weil man denkt, sein Handeln ist sexueller Natur, ändert sich rein gar nichts. Denn der eigentliche Grund, seine Überforderung und Gestresstheit in bestimmten Situationen (manchmal ist es sogar einfach nur Langeweile) existiert weiterhin. Folglich wird er auch als kastrierter Rüde dieses Verhalten zeigen, im schlimmsten Fall sogar vermehrt.

Mythos 3: Ein kastrierter Rüde ist konzentrierter

Wenn ich mit Filou unterwegs bin, klebt seine Nase meist am Boden. Er liebt es zu schnüffeln, und taucht dabei komplett in seine eigene Welt ab. Manchmal frage ich mich, ob er überhaupt mitbekommen würde, wenn ich nicht mehr da wäre.
Dieses Schnüffeln und auch das dazugehörige Markieren ist bei unkastrierten Rüden völlig normal. Schließlich müssen sie abchecken, wie die Konkurrenz in der eigenen Umgebung aussieht, und ob läufige Hündinnen in der Nähe sind. Doch auch hier gibt es Ausnahmen. Manche Rassen sind von Natur aus sogenannte „Nasenjäger“, die, wenn sie einmal eine Fährte aufgenommen haben, nicht mehr davon abzubringen sind. Sie nehmen ihre Umgebung generell mehr über die Nase wahr, als über ihre anderen Sinnesorgane. Daran würde auch eine Kastration nicht viel ändern. Einzig das Markieren beim Rüden würde weniger werden.
Bei Filou hält sich beides in meinen Augen in Grenzen. Wenn wir Gassi gehen, ist das seine Zeit und dazu gehört für mich auch das Schnüffeln und Markieren. Er ist ja schließlich immernoch ein Hund, der sein arteigenes Verhalten ruhig ausleben darf.
Klar gibt es Hundebesitzer, die Wert darauf legen, dass der Hund stets auf sie fixiert ist und sich auch beim Gassi gehen primär nach ihnen richtet. Da ist es dann wohl auch sinnvoll, den Rüden zu kastrieren, denn dadurch werden die Duftspuren in der Umgebung uninteressanter und der Hund konzentriert sich mehr auf andere Dinge, wie beispielsweise seinen Besitzer.

Mir persönlich ist das allerdings nicht so wichtig, ich möchte Filou auch noch Hund sein lassen, so weit es geht. Auch sollte man abwägen, ob das Schnüffeln und Markieren wirklich schon „krankhaft“ ist, und den Hund dadurch auch selbst stresst, oder ob es sich einfach um einen Hund handelt, der seine Umgebung durch die Nase erkundet.

Mythos 4: Ein kastrierter Rüde ist hygienischer

Fakt ist, dass viele unkastrierte Rüden einen sogenannten Präputialkatarrh haben. Dabei handelt es sich um eine Störung im Bereich des Milieus der Vorhaut, bei der zu viel Smegma (Vorhautsekret) produziert wird, das sich dann als weißlich-gelbe Flüssigkeit an der Vorhautöffnung ansammelt und in manchen Fällen sogar runtertropft.
Bei Filou kommt dies gelegentlich auch vor. Und ich muss gestehen, wenn ich das Smegma sehe, entferne ich es ihm einfach mit einem Taschentuch, oder meistens säubert er sich selbst.
Aber ich kann verstehen, dass viele Leute dies als unhygienisch empfinden und nicht möchten, dass der Rüde das Smegma auf dem Sofa oder im Bett verteilt.

Mir geht es dabei aber eher um einen gesundheitlichen Aspekt. Sollte der Rüde wirklich wahnwitzig viel Smegma produzieren, wird er unentwegt versuchen, seine Genitalien zu säubern, was zu einer Vorhautentzündung führen kann, die wirklich schmerzhaft ist.
Daher sollte man dies genau beobachten und eventuell vom Tierarzt abklären lassen.

Bei einer Kastration wird der Ausfluss komplett gestoppt, also kein Smegma mehr und folglich entsteht kein unhygienischer Ausfluss.

Doch ich finde es ehrlich übertrieben seinen Rüden nur deshalb kastrieren zu lassen, wenn es keinerlei gesundheitliche Bedenken gibt. Vor allem, wenn man überlegt, wo unsere Hunde manchmal mit ihrer Nase und Zunge sind, bevor sie uns über das Gesicht lecken.
Denn im Endeffekt geht es wie immer um das Wohl das Tieres und nicht um unsere eigene Bequemlichkeit.

Fazit: Eine Kastration ist kein Garant dafür, dass wir über Nacht unseren Traumhund erhalten. Und vor allem ist das nicht Sinn und Zweck der Sache. Es gibt kein Schema F, das besagt: Kastriere Deinen Hund und alle Probleme lösen sich in Luft auf. Im Gegenteil, manches Fehlverhalten kann dadurch sogar noch verstärkt werden. Daher gilt es, seinen Hund genau zu beobachten und zu ergründen, warum er sich verhält, wie er sich verhält, ehe man einen hormonellen Eingriff vornehmen lässt, der nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.

Anmerkung: Es gibt auch Hormon-Chips, die quasi wie ein Testlauf einer Kastration funktionieren. Diese eignen sich hervorragend dafür, um zu Schauen, ob ein bestimmtes Verhalten tatsächlich sexueller Natur ist. Diese Chips wirken für circa 6 bis 12 Monate und können schonmal einen Einblick geben, wie sich eine Kastration in etwa auf den Rüden auswirken wird.

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